Brief 6

Liebes Paar,

ich sehe was, was Du nicht siehst! Wenn Deine Haare im Wind fliegen oder wenn Du abends müde auf dem Sofa eingeschlafen bist. Ich sehe, wie gut Dir das neue Kleid steht, aber auch den Fleck hinten auf der Jacke ….

Wir können uns nur zum Teil selbst wahrnehmen. Um uns ganz zu sehen, brauchen wir die Augen der Anderen. Das gilt nicht nur für unser Äußeres, sondern auch für unsere Eigenheiten und unseren Charakter. Wie etwa unser Verhalten auf andere wirkt, können nur sie beurteilen.

Dazu ein Beispiel: Ich bin mit meinem Mann bei Freunden eingeladen, die wir lange nicht gesehen haben. Mein Mitteilungsdrang ist groß, und die gute Stimmung animiert mich, ausgelassen mit allen zu scherzen. Beim Heimgehen sagt mir mein Mann: „Du hast so viel geredet, dass ich kaum zu Wort kam.“

Solch eine Rückmeldung kann mir helfen, mein eigenes Verhalten durch die Augen eines Anderen zu betrachten und gegebenenfalls zu korrigieren. Vor allem dann, wenn mein Verhalten bei Anderen etwas bewirkt, was ich gar nicht will. Aber vielleicht tue ich mich auch schwer damit, weil es nicht zu dem Bild passt, das ich von mir selbst habe. Oder ich höre eine generelle Kritik an meiner Person heraus und dann gehe ich innerlich schnell auf Abwehr. Gerade bei meinem Partner/meiner Partnerin möchte ich ja Anerkennung finden und gut dastehen.

Andersherum tut es besonders gut, wenn ich mit einer wertschätzenden Rückmeldung überrascht werde, zum Beispiel: „Du hast so viele Ideen und steckst voller Energie.“ Vielleicht ist mir das noch gar nicht als besondere Fähigkeit bewusst gewesen. Aber jetzt bekommt es für mich Bedeutung.

Nicht "Ob", sondern "Wie"!

Welche Rückmeldungen wir vom Partner/von der Partnerin bekommen, beeinflusst unser Selbstwertgefühl. Sie können uns aufbauen, ermutigen und beflügeln, aber sie können uns auch beschämen und klein machen, ja sogar unser Selbstwertgefühl erschüttern.

Das bedeutet nun nicht, dass ich meinen Partner/ meine Partnerin nicht auf störende Seiten und blinde Flecken hinweisen darf. Es kommt vielmehr auf das wie an. Kann er/sie spüren, dass ich etwas Kritisches sage, gerade weil er/ sie mir etwas bedeutet? Wähle ich einen guten Zeitpunkt, an dem ich das Thema anspreche? Vermeide ich, ihn/sie zu beschämen oder etwas zu unterstellen?

Ein ehrliches und kritisches Wort zur richtigen Zeit und im richtigen Ton – das kann eine große Chance sein. Als Angebot, das der andere annehmen kann, aber nicht muss. Im geschützten Raum einer wohlwollenden Beziehung können wir so auch die Seiten an uns wahrnehmen, die wir gerne verdrängen. Wenn diese Aufrichtigkeit gegenseitig möglich ist, können wir als Paar aneinander und miteinander wachsen.

Es gehört dazu die Einsicht, dass wir nicht perfekt sind – und es auch nicht sein müssen. Weder ich noch mein Partner/meine Partnerin.

Im besten Fall werden wir lernen, mit Humor und Geduld zu ertragen, dass wir nicht perfekt sind, und dabei entdecken, dass wir uns trotzdem lieben können. Das schenkt unserer Liebe einen langen Atem.

Mechtild Alber

Ich möchte es gut machen

Ich möchte es gut machen
und ich strenge mich an.
Ich kenne die Maßstäbe,
nach denen gemessen wird.

Aber nicht immer gelingt es mir.
Dann verberge ich, was nicht gut ist.
Hoffentlich sieht es keiner.

Hoffentlich sieht es einer
Und umarmt, was noch fehlt.

Mechthild Alber

Beim Spazierengehen die ersten Frühblüher entdecken…

Vielleicht entdecken Sie auch bei Ihrer Partnerin/bei Ihrem Partner, was sich befreien und aufblühen will …

Foto: © Uwe Vollmann/fotocommunity.de

Impulse

  • „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – Ihr kennt wahrscheinlich dieses Spiel, das ihr auch als Paar miteinander spielen könnt. Ich nehme etwas an meinem Partner/meiner Partnerin wahr, das mir gut gefällt – und er/sie darf es durch Nachfragen erraten. In einer ersten Runde kann es sich es sich auf Aussehen, Bewegung, wie man sich kleidet etc. beziehen. In einer zweiten Runde kommen dann persönliche Eigenarten und Verhaltensweisen in den Blick.

    Wie ist es, so vom Partner/der Partnerin wahrgenommen zu werden? Ihr könnt euch gerne mit etwas bedanken, was dem anderen gut tut – z.B. einer kleinen Rückenmassage.
  • In den Spiegel schauen – „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Sich selbst zu lieben scheint auf den ersten Blick einfach und selbstverständlich zu sein. Aber wenn ich genauer in meinen inneren Spiegel blicke, entdecke ich vielleicht, wie selbstkritisch und abwertend ich mir gegenüber oft bin.

    Wenn ich mich dann innerlich von Jesus anschauen lasse, kann das meinen Blick verändern. Er kennt mich. Vor ihm muss ich keine Fassade aufbauen. Er nimmt mich an, wie ich bin. Voller Wohlwollen. Und er sieht in mir, was ich nicht sehe. Viel mehr, viel tiefer. Genau das befreit den eigenen verengten Blick auf mich selbst und dann auch auf meinen Nächsten – meinen Partner/meine Partnerin. Beide haben wir Fähigkeiten und Grenzen. Und unsere Liebesfähigkeit kann wachsen, wenn wir uns selbst und einander annehmen.

    „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.“ Diese Aufforderung Jesu kann positiv herausfordern.
    Wie geht es euch mit diesem Satz? Was hilft euch dabei, euch selbst anzunehmen? Könnt ihr einander davon erzählen? Welche Auswirkung hat es auf eure Beziehung?
  • Wunde Punkte … – Manchmal trifft mich eine Rückmeldung, weil sie einen wunden Punkt in mir berührt hat. Ich werde an Erlebnisse oder Erfahrungen erinnert, die mich verletzt oder beschämt haben. Oder wir geraten als Paar immer wieder bei denselben Themen aneinander. Offen miteinander zu sprechen kann ganz schön schwierig sein! Es gibt aber auch Hilfestellungen aus der Kommunikationsforschung, die verständnisvolle und konstruktive Gespräche möglich machen. Zu erlernen sind sie in den Kommunikationstrainings EPL/KEK, die bundesweit von den Kirchen angeboten werden: www.epl-kek.de

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